Thesen Promotionsschrift:

Mittelalterliches Chorgestühl in der Mark Brandenburg – Baugestalt und Bildfunktion unter besonderer Berücksichtigung der Pfarrkirchen

Die Studie untersucht den reichen Bestand an mittelalterlichen Chorgestühlen in der Mark Brandenburg. Nach der ersten Entstehungswelle um 1300, bei der vor allem Kathedral- und Klosterkirchen ausgestattet wurden, gelangte die märkische Gestühlsbaukunst im 15. Jh. zu einer Blüte, die bis in das beginnende 16. Jh. anhielt. In dieser Phase wurden die älteren Ensemble oftmals erweitert und es erfolgten zahlreiche Neuausstattungen der Sakralbauten. Dies betraf alle Kirchenränge gleichermaßen. Im speziellen erhielten nun auch Pfarrkirchen ein Chorgestühl, nicht selten von ansehnlicher Größe und mit reicher bildkünstlerischer Ausstattung.

Das brandenburgische Material legt nahe, dass ländliche und städtische Pfarrkirchen regelmäßig mit Chorgestühlen ausgestattet waren, was die Frage nach deren Nutzung im Rahmen der Stundenliturgie aufwirft. Es konnte gezeigt werden, dass die Gestühle als Widerhall päpstlicher Dekrete und kirchenrechtlichen Verfestigung des Stundengebetes auf parochialer Ebene zu verstehen sind. Der gesamte Pfarrklerus war verpflichtet die Liturgie des officiums im stallum in choro, im Chorgestühl, abzuhalten.

Im Vergleich zeigt das umfangreiche Material, dass sich Gestühle in Pfarrkirchen strukturell nicht von solchen der Hochstifte und Klosterkirchen unterscheiden. Alle üblichen Bauteile, tektonischen Kompartimente wie auch bildkünstlerische Ausstattung zeichnen pfarrkirchliches Chorgestühl ebenfalls aus, wenngleich es graduelle Unterschiede in Qualität und Quantität insbesondere im ländlichen Raum gibt. Das Material macht deutlich, dass die zu Beginn des 20. Jh. geprägten Gestühlstypen geschlossen/nord-ostdeutsch und offen/rheinisch-französisch nicht greifen. Ein wesentliches Gestaltungsmittel war die Bemalung, durch das u.a. das geschnitzte Bildprogramm ikonographisch erweitert wurde.

Die Studie interpretiert Chorgestühle im Kontext des architektonischen und liturgischen Raumes. Die Disposition der in situ befindlichen Gestühle wie auch der rekonstruierbaren Positionen in Pfarrkirchen erfolgte in allen Fällen nach dem gleichen Schema, wie es in vergleichbaren Chortypen im bischöflichen und klösterlichen Kirchenbau üblich ist. Die Chorarchitektur schlägt sich auf die formale Gestaltung der Chorgestühle nieder, insbesondere hinsichtlich der Anbringungsrichtung der Reliefs und der Ausformung der Dorsale. Das wirkt sich auf die Rezeption des Bildprogrammes aus.

In einigen Fällen werden Gestühle durch die Anbringung von Herrschaftszeichen der Auftrag gebenden communitas in ein repräsentationsästhetisches Konzept innerhalb des liturgischen Raumes eingebunden. An ausgewählten Beispielen einer Werkgruppe konnte gezeigt werden, dass Gestühle in Pfarrkirchen und Stiftskirchen ein sehr ähnliches ikonographisches Bildprogramm aufweisen können. Nachgewiesen wurde, dass die Ikonographie an Chorgestühlen auf andere Ausstattungen im Kirchenraum wie auch auf den Kirchenraum an sich Bezug nimmt und ausstattungsübergreifende Bildkonzepte möglich sind. Insbesondere typologisch ausgerichtete Gestühlsprogramme rekurrieren auf Bildwerke im Chorraum, durch die die am Gestühl fehlenden Darstellungen der Antitypen im Rahmen der anagogischen Bildhierachie zu einem heilsgeschichtlichen Gesamtprogramm vervollständigt werden.